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Warum sollen wir die biologische Vielfalt schützen? Die beiden Antworten der Umweltethik

Martin Gorke

/ 9 Minuten zu lesen

In der öffentlichen Diskussion wird der Schutz der Biodiversität zunehmend mit ihrem Nutzen für den Menschen begründet. Dabei sollte nicht vergessen werden, dass der Natur über diese instrumentellen Werte hinaus ein Eigenwert zukommt.

Hochmoor in den österreichischen Alpen. (© picture-alliance, Zoonar)

Werden Biodiversitätsforscher, Naturschützerinnen und Laien mit der Frage konfrontiert, warum es falsch ist, eine Tier- oder Pflanzenart auszurotten, geht es vielen von ihnen ähnlich wie dem Kirchenlehrer Augustinus. Der soll einst auf die Frage nach dem Wesen der Zeit geantwortet haben: „Wenn Du mich nicht fragst, weiß ich es, aber wenn Du mich fragst, dann weiß ich es nicht.“ Tatsächlich dürfte es für viele Menschen intuitiv vollkommen klar sein, dass die Auslöschung einer biologischen Spezies ein großes Übel darstellt. Doch wenn man sie bittet, diese Intuition in Worte zu fassen, geraten sie argumentativ oft ins Schwimmen – insbesondere dann, wenn es darum geht, eine Tier- oder Pflanzenart zu verteidigen, die unscheinbar oder der Allgemeinheit unbekannt ist.

Zwei Begründungstypen

Für diese Unsicherheit hinsichtlich der Begründungsfrage braucht sich niemand zu entschuldigen. Denn selbst die Spezialisten für diese Frage, die Umweltethiker und Umweltethikerinnen, sind sich über die „richtige“ Antwort nicht einig. Seit Umweltethik als akademische Disziplin vor rund 50 Jahren entstand, konkurrieren zwei Begründungstypen unvermindert miteinander: der anthropozentrische und der holistische. Nach dem anthropozentrischen Begründungstyp haben nur Menschen einen Eigenwert. Biodiversität ist zu schützen, insofern sie für heute lebende Menschen und für spätere Generationen in materieller oder ideeller Hinsicht von Bedeutung ist. Nach dem holistischen Begründungstyp haben diese instrumentellen Werte der biologischen Vielfalt zwar ebenfalls Gewicht, doch ausschlaggebend für die geforderte Rücksichtnahme gegenüber der Natur ist deren Eigenwert. Biodiversität ist aus holistischer Sicht primär um ihrer selbst willen zu schützen.

Schaut man sich die Verlautbarungen von Naturschutzbehörden und Verbänden an und studiert die einschlägigen naturschutzfachlichen Publikationen, fällt auf, dass die anthropozentrische Perspektive heute bei weitem vorherrscht. Da diese Dominanz kaum auf ethiktheoretischen Überlegungen beruhen dürfte, drängt sich der Schluss auf, dass man dem Appell an das menschliche Eigeninteresse schlicht mehr Überzeugungskraft zutraut, um den Erhalt von Biodiversität zu sichern, als dem Verweis auf deren Eigenwert. Doch geht dieses pragmatische Kalkül wirklich auf? Und ist es in sich stimmig? Ich möchte im Folgenden drei Gesichtspunkte ins Feld führen, die hier zur Skepsis raten: einen sachlichen, einen psychologischen und einen ethischen.

Technisch ersetzbare Arten

Auf der sachlichen Ebene ist zunächst daran zu erinnern, dass sich allein mit dem Verweis auf menschliche Interessen nicht die gesamte Biodiversität verteidigen lässt (Gorke 2003, 2011). Mehr Arten als Naturschützerinnen und Naturschützern lieb sein kann, müssen nach dem Maßstab glaubhafter Argumentation als „nutzlos“ bezeichnet werden. „Nutzlos“ bedeutet unter ökonomischem Aspekt, dass ihr Nutzen den Aufwand zu ihrem Schutz nicht aufwiegen kann. Dabei ist für den Artenschutz prekär, dass ein Nutzen, der den Schutz einer Art im Moment gut rechtfertigt, schon morgen hinfällig sein kann. Aufgrund des kontingenten (nicht notwendigen) Zusammenhangs zwischen den Eigenschaften einer Art und menschlichen Interessen sind Nutzenargumente stets durch Änderungen der Randbedingungen und das Gegenargument der technischen Ersetzbarkeit gefährdet.

Der oft angeführte Verweis auf unser mangelhaftes Wissen und die vielen noch unbekannten Nutzenfunktionen bestimmter Arten ist hier nur sehr bedingt ein Ausweg: Wie schon das Sprichwort vom Spatz in der Hand und der Taube auf dem Dach weiß, ist es unter reinen Nutzenaspekten irrational, zugunsten eines theoretisch möglichen, aber völlig unbekannten Nutzens auf einen tatsächlichen und bekannten Nutzen zu verzichten. Daran ändert auch die Hinzuziehung ökologischer Gesichtspunkte nichts. Denn anders als noch in den 1970er Jahren erlaubt es die ökologische Theorie heute nicht mehr, Arten pauschal einen ökologischen Nutzen zuzuschreiben. Artenvielfalt gilt nicht mehr generell als Garant für ökologische Stabilität. Viele Ökologinnen und Ökologen gehen heute davon aus, dass Ökosysteme mehr oder weniger große Artenredundanzen besitzen. Zwar bedeutet das nicht, dass jede Art, die momentan bedeutungslos erscheint oder selten ist, dies auch in einem veränderten Kontext und auf lange Sicht zu bleiben bräuchte. Es gibt inzwischen zahlreiche Studien, die das Gegenteil zeigen. Man würde aber über das Ziel hinausschießen, aus solchen Befunden abzuleiten, jede Art besäße das Potenzial für signifikante Systembeiträge. Die Evolution von Arten muss keineswegs immer mit einer Funktion für das Ökosystem verbunden sein.

Mehr Altruismus

„Dies mag ja sein“, werden Verfechter der anthropozentrischen Argumentation erwidern, „aber es gibt doch auf der anderen Seite auch genug Arten und Ökosysteme, deren ökonomische, ökologische und vor allem ästhetische Bedeutung für die Menschheit auf der Hand liegt. Sollte man zu ihrer Verteidigung die Menschen nicht dort packen, wo sie am empfänglichsten sind, nämlich beim Eigennutz? Ist der anthropozentrische Begründungstyp nicht eindeutig motivationsstärker als der holistische?“ Diese Einschätzung muss bei näherem Hinsehen stark relativiert werden. Oft wird dabei nämlich vergessen, dass der Appell an den individuellen Eigennutz in Naturschutzfragen nicht weit trägt. Langfristige Anliegen wie etwa der Schutz des Klimas oder die Schonung der Regenwälder lassen sich in einem anthropozentrischen Rahmen nur unter Bezug auf menschlichen Gattungseigennutz rechtfertigen. Da dieser den heute Lebenden aber Rücksicht gegenüber späteren Generationen abverlangt, also genau in die entgegengesetzte Richtung deutet wie der individuelle Eigennutz, ist es mit seiner Motivationskraft nicht besonders gut bestellt. Zwar dürften die meisten Menschen bereit sein, zugunsten ihrer eigenen Kinder Verzicht zu üben, doch die Bereitschaft zur Rücksichtnahme nimmt ab, wenn es um Fremde geht, die in fernen Zeiten leben werden. Die derzeitigen, vollkommen unzureichenden Bemühungen in Politik und Gesellschaft, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, sind hierfür ein beredtes Beispiel. Ohne eine gehörige Portion Altruismus stehen sowohl der anthropozentrische als auch der holistische Ansatz auf verlorenem Posten.

Eigenwert ohne Ermessensspielraum

Indes wäre es verfehlt, die Diskussion über die beiden Begründungstypen auf pragmatische und psychologische Aspekte zu verkürzen. Bei der Suche nach einer Rechtfertigung für den Biodiversitätsschutz kann es der Ethik ja nicht nur darum gehen, welches Argument „bei den Leuten am besten ankommt“. Vielmehr muss sie primär von der Frage geleitet sein, was der Wirklichkeit am ehesten gerecht wird. Was trägt den Tatsachen bestmöglich Rechnung und ist in sich stimmig? Unter dieser Perspektive ist nun freilich nicht zu übersehen, dass der anthropozentrische Begründungsansatz heutzutage naturphilosophisch „in der Luft hängt“. Während es etwa für Thomas von Aquin im 13. Jahrhundert noch durchaus vernünftig war anzunehmen, Tiere und Pflanzen seien geschaffen worden, um menschlichen Zwecken zu dienen, ist eine solche Weltsicht mit den heutigen Einsichten der Evolutionsbiologie, der Paläontologie und der Ökologie unvereinbar. Wie kann es vor diesem wissenschaftlichen Hintergrund dann aber sein, dass in Naturschutzdiskussionen unvermindert eine Argumentationsweise vorherrscht, die die Natur faktisch immer noch so betrachtet, als sei diese ausschließlich für Menschen da? Kann man es ernsthaft für wahr halten, dass von allen Gegenständen des Universums nur Menschen einen eigenen Wert besitzen?

Anthropozentrische Ethiker und Ethikerinnen verweisen zur Rechtfertigung dieser Position gerne auf die Sonderstellung des Menschen als einzige vernunftbegabte und moralfähige Spezies. Versteht man diese Charakterisierung weniger als reale Beschreibung denn als selbstauferlegten Anspruch, stimme ich ihr zu. Ich meine dann aber, dass aus dieser Sonderstellung genau die entgegengesetzte Konsequenz zu ziehen ist: Gerade die einzigartige Befähigung des Menschen zu objektiver Erkenntnis und freiwilliger Selbstbeschränkung muss es ihm verbieten, den Umgang mit seiner Umwelt – wie all die anderen Spezies – nur an dem Gesichtspunkt des Eigeninteresses auszurichten. Wollen wir uns wirklich als moralfähige Spezies verstehen, müssen wir auch andere Naturwesen als Selbstzwecke achten und ihnen einen Eigenwert zubilligen.

Doch welchen anderen Naturwesen? Nur unseren nächsten stammesgeschichtlichen Verwandten, den Wirbeltieren, oder darüber hinaus allen Lebewesen oder sogar Gesamtsystemen wie Arten und Lebensräumen? Eine Analyse des Moralbegriffs hilft hier weiter. Eine der fundamentalen Eigenschaften von Moral ist zweifellos ihre Universalität. Damit ist gemeint, dass Moral im Hinblick auf die moralische Betrachtungsweise keine Ausnahmen zulässt – weder im Umfang noch in der Zeit. Sie darf weder Einzelwesen aus der Moral ausschließen (sie für „vogelfrei“ erklären) noch die Gültigkeit moralischer Regeln zeitweilig aussetzen (etwa einen moralfreien Samstagnachmittag einführen). Denkt man diesen universalen Charakter des moralischen Standpunktes konsequent zu Ende und verzichtet auf fragwürdige weltanschauliche Annahmen, bleibt einem bei der Zuweisung eines Eigenwerts an die Natur kein Ermessensspielraum: Am plausibelsten ist es dann, allen Naturwesen und Gesamtsystemen diesen moralischen Status einzuräumen. Der Kategorische Imperativ, wie ihn Immanuel Kant einst formulierte, wäre demnach folgendermaßen zu erweitern: „Handle so, dass Du alles Seiende niemals nur als Mittel, sondern immer zugleich als Selbstzweck gebrauchest“. Oder einfacher formuliert: „Instrumentalisiere andere Wesen so wenig und schonend wie möglich!“

Eingriffe stehen unter Begründungslast

Aber ist eine solch universale Rücksichtnahme überhaupt praktizierbar? Als „biologischer Konsument“ im oberen Teil der Nahrungspyramide kann der Mensch doch gar nicht anders, als fortwährend Ökosysteme und Organismen für seine Zwecke zu nutzen! Welchen Sinn macht da ein Moralprinzip, das die Instrumentalisierung aller Naturwesen grundsätzlich in Frage stellt? Anders formuliert, was nützt eine moralische Regel, die mehr Ausnahmen erzwingt als Befolgungen ermöglicht? Die Antwort: Sie lotet trotz aller unvermeidlichen Zugeständnisse an das Eigeninteresse des Menschen das Maximum an Möglichkeiten zum Schutze der Natur aus und zwar insofern, als Eingriffe nun prinzipiell unter Begründungslast stehen. Im Gegensatz zur anthropozentrischen Ethik bedürfen Beeinträchtigungen nichtmenschlicher Lebewesen und von Gesamtsystemen in einer holistischen Ethik grundsätzlich der Rechtfertigung. Dabei gilt, dass eine Beeinträchtigung umso weniger rechtfertigbar ist, je weniger sie sich auf grundlegende Notwendigkeiten oder gar existenzielle Zwänge berufen kann. Während etwa die Abtötung von Tuberkelbazillen auch in einer holistischen Ethik das Notwehr- beziehungsweise Nothilferecht in Anspruch nehmen kann, wäre die Planierung eines Froschtümpels, allein um den Kurvenverlauf einer Straße für höhere Geschwindigkeiten tauglicher zu machen, mit dieser Ethik nicht zu rechtfertigen. Nimmt man das auch in der zwischenmenschlichen Ethik allgemein anerkannte Prinzip der Verhältnismäßigkeit ernst, darf man Luxusinteressen des Menschen gegenüber den existenziellen Interessen anderer Arten keinen Vorrang einräumen. An diesem Punkt wird deutlich, worin der Hauptunterschied des Holismus gegenüber der Anthropozentrik besteht: Seine Herangehensweise bei Zielkonflikten ist um 180 Grad gedreht. Während aus anthropozentrischer Sicht die Einschränkung einer prinzipiell unbegrenzten Verfügung über die Natur zu rechtfertigen ist, steht aus holistischer Sicht die Verfügung über eine prinzipiell unverfügbare Natur unter Rechtfertigungszwang. Der springende Punkt der holistischen Ethik ist ihre Umkehr der Begründungslast.

Respekt und Fürsorge

Es würde den Rahmen dieses Artikels sprengen, nun die Konsequenzen der Begründungslastumkehr für den Umgang mit Biodiversität im Detail auszuloten. Klar ist, dass man zur Bewältigung der vielen Zielkonflikte Vorrangregeln wie etwa die bereits genannten Prinzipien der Selbstverteidigung und der Verhältnismäßigkeit benötigt. Um bei Güterabwägungen die Beeinträchtigung der Biodiversität zu minimieren, bedarf es des Weiteren allgemein nachvollziehbarer Abwägungskriterien. Zu beiden Aspekten habe ich an anderer Stelle ausführliche Vorschläge gemacht (Gorke 2018). Von den dort diskutierten 15 Abwägungskriterien möchte ich abschließend eines näher beleuchten, weil es meines Erachtens wie kein anderes den Kern der eingangs geschilderten Artenschutzintuition trifft: das Kriterium der logischen Tiefe.

Unter diesem Begriff versteht man in der Informationstheorie die Zahl der Entwicklungsschritte, die zur Entstehung eines Systems notwendig sind (Bennett 1987). Systeme wie Eis oder eine Kerzenflamme, die in wenigen Schritten entstehen und sich deshalb leicht reproduzieren lassen, sind logisch flach; Systeme wie eine Eulenart oder ein Hochmoor, die vieler und nicht zuletzt zufälliger Evolutions- und Entwicklungsschritte bedürfen, sind logisch tief. Weil bei letzteren ein zweites unabhängiges Entstehen praktisch ausgeschlossen ist, erscheinen sie uns unter sonst gleichen Bedingungen als besonders wertvoll. Systeme mit großer logischer Tiefe sind die, die wir intuitiv am liebsten erhalten möchten. Sicher, zugunsten dieses Wunsches lassen sich oft auch überzeugende Nutzenargumente anführen. Aber Biodiversitätsforscher, Artenschützerinnen und andere Freunde der Natur würden unter ihren Möglichkeiten bleiben, wenn sie zur Verteidigung der Biodiversität nicht stets auch das Argument ins Feld führen würden, das ihre naturschützerische Intuition am schlüssigsten rekonstruiert: Der Selbstorganisation der Natur und ihren in Millionen von Jahren herangereiften Errungenschaften gebühren Respekt und Fürsorge um ihrer selbst willen.

Literatur

Bennett C. H. (1987): Dissipation, information, computational complexity, and the definition of organization. In: Pines, D. (ed.): Emerging syntheses in science. Addison-Wesley Publishing Company, New York: 215-233.

Gorke M. (2003): The Death of Our Planet’s Species. A Challenge to Ecology and Ethics. Island Press, Washington DC.

Gorke M. (2018): Eigenwert der Natur. Ethische Begründung und Konsequenzen. S. Hirzel, Stuttgart.

Gorke M. (2011): Artensterben. Von der ökologischen Theorie zum Eigenwert der Natur. Books on Demand, Norderstedt.

Dieser Text ist eine aktualisierte Fassung des Textes, der in "Hotspot: Ökosystemleistungen. Forschung und Praxis im Dialog Informationen des Forum Biodiversität Schweiz. 30/2014 erschienen ist.

Weitere Inhalte

Prof. Dr. Dr. Martin Gorke ist Professor am Institut für Botanik und Landschaftsökologie der Universität Greifswald. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören Holistische Umweltethik, Naturschutzbegründungen, Arten- & Wildnisschutz, Zielkonflikte im Naturschutz, Theorie und Geschichte der Ökologie, Naturphilosophie, Albert Schweitzer, Seevogelökologie und Biodiversität.