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Politische Bildung mit sozialen Medien | Soziale Medien – wie sie wurden, was sie sind | bpb.de

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Politische Bildung mit sozialen Medien

PD Dr. Tanja Maier

/ 10 Minuten zu lesen

Die Nutzung sozialer Medien für die politische Bildung wird kontrovers und leidenschaftlich diskutiert. Unter anderem steht die Frage im Raum, ob und wie die Einzelnen ihre politische Mündigkeit tatsächlich auf diesen Plattformen entfalten können.

Illustration: www.leitwerk.com

Sichtweisen auf politische Bildung mit sozialen Medien

Optimistische Sichtweisen sehen in sozialen Medien den idealen Raum, um neue Zielgruppen für Inhalte der politischen Bildung zu interessieren. Jugendliche und Erwachsene können sich aus dieser Perspektive mit sozialen Medien jederzeit und überall über demokratische Aspekte aus unterschiedlichen Quellen informieren und gleichzeitig ihre eiegene politische Haltung frei artikulieren. Daraus ergeben sich neue Chancen für die politische Partizipation.

Pessimistische Sichtweisen betonen dagegen verstärkt die demokratiegefährdenden Aspekte sozialer Medien. Ein Fokus liegt dabei auf aktuellen Phänomenen wie Desinformation, Hate Speech, Fake News, Mobbing oder Verschwörungstheorien. Soziale Medien geraten dabei unter den generellen Verdacht, die Demokratie zu gefährden. Gewarnt wird vor den Gefahren und Gefährdungen, die soziale Medien mit sich bringen.

Die Kontroversen um die negativen und positiven Folgen des Gebrauchs sozialer Medien kann die politische Bildung nicht lösen, wohl aber kritisch reflektieren. Im Folgenden wird daher eine Sichtweise entwickelt, die soziale Medien als Lern- und Bildungsmöglichkeit versteht, ohne die Gefahren und Probleme im Gebrauch sozialer Medien aus dem Blick zu verlieren. Der Beitrag fokussiert dabei auf Social Media Plattformen wie Instagram, TikTok und YouTube.

Relevanz sozialer Medien für die politische Bildung

Soziale Medien sind für die politische Bildung in mehrfacher Hinsicht relevant. Zunächst sind soziale Medien ein fester Bestandteil des Alltags von jungen Menschen. Aber nicht nur diese junge Zielgruppe kann so erreicht werden. Aus Nutzungsstudien ist bekannt, dass soziale Medien bei einem großen Teil der Bevölkerung in Deutschland einen wichtigen Stellenwert einnehmen. Dadurch liefern sie auch neue Anlässe und Kommunikationsräume für die politische Bildung.

Im positiven Fall erlauben es soziale Medien, sich an der Gestaltung von politischen Öffentlichkeiten zu beteiligen. Der Gebrauch von sozialen Medien hat die politischen Öffentlichkeiten stark verändert. Im Unterschied zu klassischen Öffentlichkeitsstrukturen des 20. Jahrhunderts sind digitale Kommunikationsräume durch eine Vervielfältigung der Akteur*innen und Themen sowie neue Teilhabe- und Kommunikationsformen geprägt. Lange wurden politische Debatten vor allem in publizistischen Öffentlichkeiten geführt und ausgehandelt. Das hat sich durch soziale Medien grundlegend verändert. Sie sind zu einem wichtigen Raum geworden, in dem öffentliche Diskurse ausgetragen und verhandelt werden. Einzelne Menschen, Aktivist*innen oder soziale Bewegungen können heute einfacher an politischen Diskursen teilhaben und Öffentlichkeit selbst herstellen. Sie können unmittelbar ein breites Publikum adressieren, ohne dafür auf die traditionellen Medien angewiesen zu sein. Der politische Handlungsspielraum hat sich dadurch erweitert. Während in der Vergangenheit einzelne Stimmen und kleinere soziale Gruppen nur selten die Aufmerksamkeit der breiten Öffentlichkeit erreichen konnten, kann heute bereits ein einzelner Post auf einer Social Media Plattform hohe Wellen schlagen. Neben publizistische Öffentlichkeiten sind unübersehbar vielfältige Teilöffentlichkeiten getreten, in denen unterschiedliche Akteur*innen mit ihren Belangen aktiv werden können und das nebeneinander oder gegeneinander.

Neuere Öffentlichkeitstheorien betonen daher ein offenes, partizipatives und zugleich konflikthaftes Verständnis von politischen Öffentlichkeiten. In solchen Arbeiten wird darauf hingewiesen, dass gegenwärtige Öffentlichkeiten nur zu verstehen sind, wenn bestimmte Formen von Konflikt sowie Affekte als Ausdruck von Leidenschaft berücksichtigt werden. In einem solchen Verständnis sind Öffentlichkeiten der Raum für einen demokratischen Meinungsstreit, in dem konfliktreiche Aushandlungsprozesse stattfinden. Politische Bildung in und mit sozialen Medien ist so gesehen eine affektive Medienpraxis. Durch medienvermittelte Emotionen und Affekte werden Menschen gebildet, mobilisiert und beteiligt. Soziale Medien können entsprechend dazu beitragen, Menschen zu bewegen und zu mobilisieren und ihnen den Raum geben, dies in Handlung zu übersetzen. Sie übertragen dabei aber nicht einfach ‚ihre‘ Emotionen und Affekte, sondern sie bewegen und ergreifen die User*innen. So kann Empörung aggressive, beleidigende und wütende Handlungen zur Folge haben (z. B. als Hate Speech). Empörung kann aber auch soziale Protestformen aktivieren. Hashtags wie #saytheirnames, #blacklivesmatter oder #aufschrei sind bekannte Beispiele für solche Protestformen.

Ein Schriftzug „#saytheirnames“ ist am Gebäude der Initiative 19. Februar Hanau angebracht. Mehrere tausend Menschen versammeln sich nach einem Gedenkmarsch anlässlich des vierten Jahrestages des rassistische Anschlags von Hanau auf dem Marktplatz in der Innenstadt. (© picture-alliance/dpa, Hannes P. Albert)

Informations- und Wissensvermittlung

Mittlerweile gibt es zahlreiche Angebote der politischen Bildung in sozialen Medien wie Instagram, Interner Link: TikTok oder YouTube. Beispielsweise nutzen seit 2019 Creator*innen auf TikTok den #EduTok, um Wissen zu teilen und dazu beizutragen, Bildung zugänglicher zu machen. Politische Bildung verfolgt dabei das Ziel, Menschen mit relevantem Wissen und Informationen auszustatten, damit diese selbständig am politischen Leben teilnehmen können. Für die politische Bildung eröffnet sich die Chance, neue Themen und Sichtweisen in politische Öffentlichkeiten einzubringen. Im Bereich der historischen Bildung arbeiten beispielsweise 14 Gedenkstätten im Rahmen der ‚Shoah Education and Commemoration Initiative‘ an Bildungsangeboten auf TikTok. Die Gedenkstätte Bergen-Belsen bewertet die Aktivitäten zur historisch-politischen Bildung mit TikTok als Erfolg, insb. um ein jüngeres Publikum zu erreichen, welches viel Zeit auf sozialen Medien verbringt.

Die Holocaustüberlebende Tova Friedman, 85, nimmt ein TikTok-Video mit ihrem Enkel, dem 17-jährigen Aron Goodman, auf. In den Videos beschreibt Tova Friedman ihre Erfahrungen als 6-Jährige im Vernichtungslager Auschwitz. Die Videos werden millionenfach auf TikTok angesehen. (© picture-alliance, Associated Press | Ted Shaffrey)

Wie sich soziale Medien für die Vermittlung von Inhalten der politischen Bildung konkret nutzen lassen, hängt dabei stark mit der Spezifik der Plattformen zusammen. Dies ist wichtig zu bedenken. Die politische Bildungsarbeit mit sozialen Medien ist kein Selbstläufer. Ziele, Inhalte und Methode bzw. die Formate und die Plattform, auf der veröffentlicht werden soll, müssen zueinanderpassen. So können bspw. mit längeren Videos Wissen und Sachinformationen besonders gut vermittelt werden. Das müssen nicht immer nur klassische Erklärvideos, Interviews oder Videos mit Expert*innen sein. Für die Informations- und Wissensvermittlung bieten sich auch Animationsvideos oder narrative Videos an, die beispielsweise auf YouTube bereits seit längerer Zeit beim jungen Publikum sehr beliebt sind. Auf Instagram besteht eine Möglichkeit für die Informations- und Wissensvermittlung darin, komplexe Themen in Form von Carousel Posts zu kommunizieren. Gerade diese ‚Slideshows‘ sind ein gutes Beispiel für die neuen Formen der Bildungsarbeit, die Instagram hervorgebracht hat. Ein Grund für ihren Erfolg dürfte sein, dass solche Angebote relativ einfach herzustellen sind und sich mittels des Formats auch längere Texte und komplexe Themen vermitteln lassen.

Bildungsangebote müssen auf sozialen Medien ästhetisch ansprechend und verständlich gestaltet sein. Zudem erhalten Bildungsangebote auf sozialen Medien mehr Aufmerksamkeit, wenn sie unterhaltend aufbereitet werden. Allerdings ist die Unterhaltungsorientierung bei der Informations- und Wissensvermittlung umstritten. Unterhaltung wird mithin als Gefahr für die Ideale der Aufklärung, der Vernunft und der Rationalität angesehen. Dem entgegen steht, dass unterhaltende Angebote auf sozialen Medien dazu geeignet sind, eine breite Zielgruppe zu erreichen – und so eine politische Bildung mitunter überhaupt erst anzuregen. Nutzer*innen wenden sich sozialen Medien nicht ausschließlich aus kognitiven Gründen zu, sondern auch aufgrund emotionaler und affektiver Motive. Mitunter geht es einfach darum, sich gut unterhalten zu fühlen, und das auch – oder gerade – bei politischen Inhalten. Die Übergänge zwischen Information und Unterhaltung sind in sozialen Medien fließend. Neben klassischen Nachrichtenmedien oder Bildungsangeboten von professionellen Bildungsanbietern tragen auch unterhaltende Angebote dazu bei, gesellschaftlich und politisch relevante Diskurse und Wissensbestände zu vermitteln (Stichwort: Politainment). Damit einher geht, dass neben politischen Debatten auch unterhaltende Medienangebote als relevant für die politische Bildungsarbeit anzusehen sind.

Heute zählen daher Medienkompetenzen zu den Grundkompetenzen des 21. Jahrhunderts. Medienbildung umfasst dabei auch das Wissen darüber, wie Bilder in der politischen Öffentlichkeit funktionieren und Bedeutungen produzieren. Der Umgang mit Bildern ist in der politischen Bildung mit sozialen Medien oft eine Selbstverständlichkeit. Gleichwohl fehlt häufig das spezifische Wissen für einen verantwortlichen Umgang mit Bildern. Dazu zählt kritisches Wissen, welches sich unter anderem auf folgende Bereiche bezieht: a) visuelle Kommunikation, Sichtbarkeitspolitiken und Bildpolitiken, b) die kritische Analyse von Bildinhalten, Darstellungsstrategien und den Kontexten, in denen Bilder zirkulieren, c) die Bildproduktion und -bearbeitung sowie d) den rechtlich und ethisch verantwortlichen Umgang mit Bildern. Die Forderung eines Einbezugs von Bildern in die politische Bildung mit sozialen Medien unterstellt keine spezifische Überwältigungsleistung oder eine stärkere Wirkmacht von Bildern im Vergleich zum Text. Die Wirkmacht oder gar Bildüberlegenheit ist in der Forschung hoch umstritten. Mit Blick auf soziale Medien ist offensichtlich, dass sich Bild und Text gegenseitig ergänzen. Text kommentiert das Bild und das Bild prägt den Text. Soziale Medien wie TikTok, Instagram und YouTube ziehen keine Grenze zwischen Bild und Text, vielmehr werden beide Modalitäten in sozialen Medien zusammengestellt. Und sie lassen sich in der Wahrnehmung nicht voneinander trennen.

Partizipation

In der politischen Bildung mit sozialen Medien geht es nicht nur um die zielgruppengerechte Vermittlung von Informationen und Wissen. Menschen sollen auch in die Lage versetzt werden, sich in politischen Öffentlichkeiten kompetent und selbstbestimmt zu beteiligen. Durch soziale Medien haben sich die Möglichkeiten, politisch aktiv zu werden, grundlegend gewandelt. Mittels Diskussionen, Abstimmungen, des Teilens und der kreativen Aneignung von Inhalten sind Formen der politischen Partizipation entstanden, die sich nicht in institutionellen Mitgliedschaften und Mitbestimmungsformen erschöpfen, sondern niedrigschwelliges politisches Handeln ermöglichen und das im Prinzip jederzeit und überall.

Für die politische Bildungsarbeit mit sozialen Medien ist es dabei hilfreich, zwischen drei Formen der digitalen Medienpartizipation zu unterscheiden:

  • Die Teilhabe in sozialen Medien bezieht sich darauf, in sozialen Medien präsent zu sein und sich aktiv an den dort ablaufenden Debatten, Netzwerken und dem Austausch zu beteiligen.

  • Die Teilhabe mithilfe der sozialen Medien bezieht sich auf Formen der Teilhabe, die digitale Medien als Werkzeuge benutzen. Mit Hilfe der sozialen Medien soll auf politische Entscheidungsfindungsprozesse und gesellschaftliche Debatten außerhalb digitaler und sozialer Medien Einfluss genommen werden (z. B. durch Demonstrationsaufrufe oder Einladungen zu Veranstaltungen).

  • Bei der Teilhabe an den sozialen Medien geht es darum, auch die Technologien und die Infrastruktur von Medien mitzugestalten. Das betrifft dann zum Beispiel die Regulierung von Medien, die Netzpolitik und den Datenschutz.

Jan-Hinrik Schmidt spricht mit Blick auf soziale Medien von einem Partizipationsparadox. Die Teilhabe in sozialen Medien und die Teilhabe mithilfe sozialer Medien sei für die meisten Menschen relativ leicht möglich. Von der Teilhabe an sozialen Medien seien die meisten Menschen allerdings ausgeschlossen. Für die politische Bildung mit sozialen Medien ergibt sich die Aufgabe, solche Ambivalenzen kritisch zu reflektieren. Benötigt wird dafür Wissen, welches zur politischen Partizipation auf allen Ebenen der Medienpartizipation befähigt. Mit Blick auf die politische Mitwirkung an den sozialen Medien rücken z. B. rechtliche, ethische, normative und politische Rahmenbedingungen in den Blick (Stichworte: Medien- und Netzpolitik, Regulierung sozialer Medien). Aus Perspektive der politischen Bildung sind dabei zwei Problembereiche relevant:

  • die politischen Regeln für soziale Medien (z. B. Gesetze zur Regulierung sozialer Medien, freiwillige Selbstkontrollen, Urheber- und Persönlichkeitsrechte) sowie

  • die Regelsetzungen durch die Plattformen selbst (z. B. Wissen zu Plattformisierung, Algorithmisierung oder Community Guidelines).

Herstellung von Sichtbarkeit

Wenn Menschen durch politische Bildung in die Lage versetzt werden sollen, sich kompetent und selbstbestimmt an politischen Diskursen zu beteiligen, dann ist dies auch eine Frage der Sichtbarkeit und mithin der Unsichtbarkeit. Für die politische Bildung zielt Sichtbarkeit mit sozialen Medien nicht einfach auf möglichst große Aufmerksamkeit oder hohe Reichweite. Sie hat vielmehr eine qualitative Seite. Wenn z. B. in politischen Debatten mehr Sichtbarkeit gefordert wird, dann geht es eigentlich um die Macht, Sichtbarkeit zu produzieren und herzustellen. Sichtbarkeit ist daher eng mit der Gestaltung von politischen Öffentlichkeiten verknüpft. Ganz gleich, ob diese Sichtbarkeit durch Sprache und Diskurse hervorgerufen wird oder ob es sich um buchstäbliche Visualisierungen – also materielle Bilder – handelt. Sichtbarkeit ist eine politische Kategorie, weil sie mit den Möglichkeiten politischer Partizipation verbunden ist. Sie ist zugleich eine visuelle Kategorie, die sich auf all das bezieht, was visuell wahrgenommen und gesehen werden kann.

Für die politische Bildung mit sozialen Medien geht es einerseits darum, Möglichkeiten der Sichtbarkeit für einzelne Individuen und Menschengruppen zu fördern. Soziale Medien ermöglichen es den Nutzer*innen, sich eigenständig Sichtbarkeit zu verschaffen. Zu bedenken ist dabei, dass Sichtbarkeit in sozialen Medien nicht zwangsläufig mit Anerkennung einhergeht. Ganz im Gegenteil. Gerade in sozialen Medien kann Sichtbarkeit offensichtlich auch negative Folgen haben. Ein Beispiel sind Shitstorms, durch welche Menschen beleidigt und bedroht werden. Vor diesem Hintergrund kann (partielle) Unsichtbarkeit in sozialen Medien auch zum Schutz werden. Zum Beispiel stellen Fake Accounts wichtige politische Kommunikationsstrategien für einzelne Menschen und Gruppen dar, um zu kontrollieren, wer die eigenen Inhalte sehen kann – und wer eben nicht.

Um in diesem Umfeld die Potenziale eines Gesprächs und Diskurses offen zu halten, ist eine Aufgabe der politischen Bildung das ‚Community-Management‘. Dabei sollte es nicht nur um die schlichte Moderation von Inhalten gehen. Im Mittelpunkt steht vielmehr die Befähigung der Lernenden, sich eigenständig zu organisieren, Verantwortung zu übernehmen und selbst aktiv zu werden, um eine wertschätzende Sichtbarkeit in politischen Diskursen zu gewinnen (Stichwort: Selbstermächtigung).

Soziale Medien ermöglichen neue Formen der Sichtbarkeit. Menschen nutzen soziale Medien, um sichtbar zu machen, wie sie sich selbst gerne sehen – und wie sie nicht gesehen werden möchten. Die eigene Sichtbarmachung kann so als die Handlungsmacht gelesen werden, fremdbestimmte Darstellungskonventionen aufzubrechen und aus eigenen Erfahrungen und Kontexten heraus das Selbst und politische Sachverhalte sichtbar zu machen. Die Fähigkeit, sichtbar zu sein und gesehen zu werden, ist immer schon mit sozialer Anerkennung und politischer Handlungsfähigkeit verbunden. Dabei sind es nicht ‚die sozialen Medien‘, die öffentliche Sichtbarkeit herstellen oder konventionelle Darstellungskonventionen verändern. Es ist in der Kommunikations- und Medienwissenschaft ein Allgemeinplatz, dass soziale Medien nicht irgendetwas tun oder irgendetwas zur Folge haben. Es ist der individuelle und soziale Gebrauch von sozialen Medien, der Folgen hat. Das heißt auch, dass soziale Medien gestaltbar sind – und dies auch in einem emanzipatorischen Sinn. Eine Frage der politischen Bildung sollte in Zukunft sein, wie sich mit sozialen Medien politische Bildungsprozesse gestalten lassen, ohne Probleme des Gebrauchs sozialer Medien aus dem Blick zu verlieren. Wie können wir also in der politischen Bildung die positiven Effekte des Gebrauchs sozialer Medien fördern und die negativen Folgen verringern?

Fussnoten

Fußnoten

  1. Zu den sozialen Medien zählen zudem Weblogs, Mikroblogging-Dienste, Wikis und Instant-Messaging-Dienste, die hier jedoch nicht weiter berücksichtigt werden. Monika Taddicken und Jan-Hinrik Schmidt, „Entwicklung und Verbreitung sozialer Medien,“ in Handbuch Soziale Medien, hrsg. von Jan-Hinrik Schmidt und Monika Taddicken, 3-17 (Wiesbaden: Springer VS, 2022), 9-15.

  2. Z. B. Barbara Pfetsch, Maria Löblich und Christiane Eilders, „Dissonante Öffentlichkeiten als Perspektive kommunikationswissenschaftlicher Theoriebildung,“ Publizistik 63 (2018), 477-495.

  3. Margreth Lünenborg, „Wut – Empörung – Solidarität: soziale Medien und ihre Affektdynamiken." https://mediendiskurs.online/data/hefte/ausgabe/95/luenenborg-affektdynamiken_tvd95.pdf

  4. Stephanie Billib und Tessa Bouwman, „Historisch-politische Bildung mit Hashtags - Gedenkstätten und Social Media,“ Medaon 16 (2022), http://www.medaon.de/pdf/medaon_30_billib_bouwman.pdf

  5. Tanja Maier, „Visueller Aktivismus mit Instagram“, Rosa-Luxemburg-Stiftung (2021), https://www.rosalux.de/fileadmin/images/publikationen/Studien/Studien_10-21_Visueller_Aktivismus_web__1_.pdf

  6. Jan-Hinrik Schmidt, "Zwischen Partizipationsversprechen und Algorithmenmacht. Wie soziale Medien politisches Handeln prägen." (Erfurt: Landeszentrale für politische Bildung Thüringen, 2022).

  7. Christian Katzenbach, „Die Governance sozialer Medien,“ in Handbuch Soziale Medien, hrsg. von Jan-Hinrik Schmidt und Monika Taddicken, 339-362 (Wiesbaden: Springer VS, 2022).

  8. Bei der Sichtbarkeit geht es auch um ihre verborgene Gegenseite: die Unsichtbarkeit. Das Unsichtbare ist das machtvolle Unzugängliche, das die Sichtbarkeit in sozialen Medien prägt, ohne selbst sichtbar zu sein.

  9. Johanna Schaffer, "Ambivalenzen der Sichtbarkeit. Über die visuellen Strukturen der Anerkennung" (Bielefeld: transcript, 2008).

  10. Ricarda Drüeke, „Feminismus im Netz -Strategien zwischen Empowerment und Angreifbarkeit,“ Feministische Studien 1 (2017): 128-136.

  11. Johanna Schaffer, Ambivalenzen der Sichtbarkeit. Über die visuellen Strukturen der Anerkennung. (Bielefeld: transcript, 2008).

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Weitere Inhalte

Dr. Tanja Maier vertritt die Professur für Kommunikations- und Medienwissenschaft an der Universität Rostock. Sie ist zudem Privatdozentin für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der FU Berlin. Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen in den Bereichen: Politik mit Social Media, Bild- und Sichtbarkeitspolitiken sowie Gender Media Studies.