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Irreguläre Migration | Kanada | bpb.de

Irreguläre Migration

Jennifer Elrick

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Anders als in den angrenzenden Vereinigten Staaten ist das Thema irreguläre Einwanderung in Kanada weder politisch noch in der Öffentlichkeit stark vertreten. Ein wesentlicher Grund dafür liegt in Kanadas relativer geographischer Isolation von allen anderen Ländern mit Ausnahme der USA, die wiederum das etabliertere Ziel irregulärer Migranten aus Mexiko und Südamerika sind.

Skulptur im kanadischen Montréal. (© picture alliance / All Canada Photos)

Irreguläre Migration wird in Kanada vor allem mit Individuen in Verbindung gebracht, die das Einwanderungssystem missbrauchen, indem sie sich selbst ungerechtfertigterweise als Asylbewerber oder Familiennachzügler ausgeben oder ihre temporäre Aufenthaltserlaubnis überziehen. Angaben der kanadischen Einwanderungsbehörde zufolge wurde 2012 gegen 10.663 kanadische Staatsangehörige, Personen mit dauerhaftem Aufenthaltsrecht und Dritte wegen des Erschleichens von Aufenthaltstiteln ermittelt. Die Einwanderungsbehörde hat die Bekämpfung einer Form dieses Betrugs, sogenannter Scheinehen (marriages of convenience), in den vergangenen Jahren zur politischen Priorität erklärt und diese zum Thema einer öffentlichen Konsultation im Herbst 2010 gemacht. Eine Scheinehe bezeichnet eine Situation, in der entweder zwei Personen vorgeben, in einer Beziehung zu leben, damit der abhängige (sponsored) Partner nach Kanada einwandern darf oder die nachziehende Person den für den Lebensunterhalt aufkommenden Partner glauben macht, ein Paar zu sein, um so nach Kanada einwandern zu können.

Die kanadische Einwanderungsbehörde schätzt, dass es sich bei einem erheblichen Teil der 20 Prozent der Anträge auf Lebens- oder Ehepartnernachzug (von insgesamt 49.500 eingegangenen Anträgen), die im Jahr 2009 von den Visavergabestellen abgelehnt wurden, um Fälle von Scheinehen handelte. Trotz dieser scheinbar hohen Aufdeckungsrate führte die Behörde im Jahr 2012 einen vorbehaltlichen Aufenthaltsstatus für Ehe- und Lebenspartner ein, die im Rahmen des Familiennachzugs nach Kanada einwandern und die zum Einwanderungszeitpunkt nicht länger als zwei Jahre eine Beziehung führen und keine gemeinsamen Kinder haben. Der nach Kanada nachziehende Partner kann sein unbefristetes Aufenthaltsrecht verlieren, wenn die Beziehung nicht noch mindestens für zwei weitere Jahre nach Ankunft in Kanada Bestand hat. Auch wenn es Ausnahmen in Fällen gibt, in denen es zu häuslicher Gewalt kommt, haben Nichtregierungsorganisationen ihre Sorge darüber zum Ausdruck gebracht, dass diese Bestimmungen die Vulnerabilität und Abhängigkeit des nachziehenden Ehe- oder Lebenspartners erhöhen.

″Prekärer Status″

Einwanderer und Einwandererbevölkerung nach Aufenthaltsstatus (© bpb)

Kanadische Migrationsforscher haben angefangen, der Debatte um irreguläre Einwanderung einen neuen Rahmen zu geben, indem sie den Begriff des "prekären Status" eingeführt haben. Anstatt den irregulären Status als eine Situation zu betrachten, die von Einwanderern bewusst eingegangen wird, betont der Begriff des prekären Status die Art und Weise in der das Einwanderungssystem – mit seinen schnell sich ausweitenden und sich verändernden Pfaden zu einem dauerhaften oder befristeten legalen Aufenthaltsstatus – Individuen in eine unsichere Position versetzt, in der sie unabsichtlich von einem legalen in einen illegalen Status rutschen können. So machen die Einwanderungsbestimmungen für abhängige Familienmitglieder, Pflegekräfte (Live-In Caregivers) oder temporäre Arbeitskräfte (Temporary Foreign Workers) die Eingewanderten abhängig von Familien- und Arbeitgeberbeziehungen, die abbrechen und die Migranten, ohne dass dies von ihnen selbst beabsichtigt wäre, in einen illegalen Status überführen können.

Wege in einen prekären Status sind Teil von Politiken, die eine große und zunehmende Personenzahl betreffen. Wie Abbildung 4 zeigt, hat die Zahl der Personen, die mit einer befristeten Aufenthaltsgenehmigung in Kanada leben im Vergleich zur Zahl neuankommender temporärer Einwanderer kontinuierlich zugenommen, was darauf hindeutet, dass mehr temporäre Einwanderer im Land verbleiben als Kanada wieder verlassen. Setzt sich dieser Trend fort, so besteht die Gefahr, dass der Umfang der Bevölkerung ohne Aufenthaltsstatus wächst.

Dabei empfinden Beobachter es als besonders besorgniserregend, dass temporäre Einwanderer zunehmend schlecht qualifiziert sind und keine Integrationsleistungen (z.B. Sprachunterricht, Unterstützung bei der Arbeitsmarkteingliederung) in Anspruch nehmen dürfen während sie sich noch legal im Land aufhalten. Dies bedeutet, dass die illegal im Land lebende Bevölkerung zukünftig mehr und mehr Individuen umfassen wird, die weder die Ausbildung noch die Ressourcen mitbringen, um sich in die kanadische Gesellschaft zu integrieren. Wenn fast die Hälfte der rund 200.000 jährlich zuziehenden temporären Migranten niedrigqualifiziert wären und die Hälfte von ihnen wiederum ihr Visum überziehen würde, würde die niedrigqualifizierte Bevölkerung ohne Aufenthaltsstatus jährlich um 50.000 Personen wachsen. Dies entspräche etwa der Zahl irregulärer Migranten, die jährlich aus Mexiko in die USA gelangen.

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Jennifer Elrick ist Doktorandin an der soziologischen Fakultät der Universität Toronto. Ihre Forschung konzentriert sich auf familienbezogene Migrationspolitiken in Kanada und Deutschland seit 1945.
E-Mail: E-Mail Link: jennifer.elrick@mail.utoronto.ca