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Flucht und Asyl | Kanada | bpb.de

Flucht und Asyl

Jennifer Elrick

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Obwohl Kanada bereits 1951 der Genfer Flüchtlingskonvention beigetreten ist und auch das 1967er-Protokoll im Jahr 1969 unterzeichnet hat, war das Einwanderungsgesetz von 1976 das erste kanadische Gesetz, das die Anerkennung von Flüchtlingen regelte.

August 2010: Ein Schiff mit Flüchtlingen aus Sri Lanka liegt vor der Küste der kanadischen Provinz British Columbia. (© picture-alliance/dpa)

Bis dahin agierte man in der Flüchtlingspolitik jeweils in Reaktion auf entsprechende Ereignisse in der Welt nach dem ad-hoc-Prinzip. So wurde beispielsweise in gesonderten Programmen mit weniger strikten Auswahlkriterien im Jahr 1962 Flüchtlingen aus Hongkong die Einwanderung ermöglicht (damit öffnete Kanada zum ersten Mal seine Grenzen auch für nicht-europäische Flüchtlinge), 1968 Flüchtlingen aus der Tschechoslowakei und 1972 aus Uganda. Zuflucht und Asyl werden derzeit durch das Einwanderungs- und Flüchtlingsschutzgesetz (Immigration and Refugee Protection Act - IRPA) von 2002 geregelt. Dieses beinhaltet zwei Wege, um einen Flüchtlingsstatus zu erlangen: das Refugee and Humanitarian Resettlement Program für Personen, die von außerhalb Kanadas Asyl suchen, und das In-Canada Asylum Program für Personen, die sich in Kanada befinden und hier ihren Asylantrag stellen.

Im Resettlement-Programm wird Flüchtlingen aus dem Ausland (die sich z.B. in Flüchtlingslagern aufhalten) die Reise nach Kanada und ihre Niederlassung finanziert, sei es durch die Regierung oder durch private Gruppen und Organisationen oder Einzelpersonen. Die kanadische Regierung richtet sich bei der Anerkennung von Flüchtlingen, die finanzielle Unterstützung benötigen, nach der Einschätzung des Flüchtlingswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) sowie nach Vermittlergruppen und privaten Hilfsorganisationen. Sofern Personen durch diese Organisationen als hilfsbedürftig identifiziert werden, wird anschließend von einer kanadischen Visumsbehörde geprüft ob ihnen der Flüchtlingsstatus zuerkannt werden kann und ob sie etwaige Gesundheitstests bzw. bestimmte Sicherheitsuntersuchungen bestehen.

Neben dem Resettlement-Programm kann auch innerhalb Kanadas Asyl beantragt werden, entweder auf Grundlage der Genfer Flüchtlingskonvention oder als Person, die eines besonderen Schutzes bedarf. In solchen Fällen kann Asyl am Einreiseflughafen oder in einem der einwanderungsbehördlichen Büros in Kanada beantragt werden. Sofern ein Beamter der Einwanderungsbehörde einen Asylanspruch feststellt, wird der Fall an den Einwanderungs- und Flüchtlingsausschuss (Immigration and Refugee Board - IRB) zur endgültigen Entscheidung weitergeleitet. Die Anerkennungsquote lag in den letzten 20 Jahren bei etwa 40-45 Prozent. 2010 und 2011 sank sie auf 38 Prozent und erreichte damit den niedrigsten Stand in der Geschichte des IRB.

Veränderungen in Kanadas Flüchtlingsprogramm

Zwei Gesetze – das Gesetz zur Reform des Flüchtlingsrechts (Balanced Refugee Reform Act) von 2010 und das Gesetz zum Schutz des kanadischen Einwanderungssystems (Protecting Kanadas Immigration System Act) aus dem Jahr 2012 (auch als Bill C-31 bekannt) – haben Kanadas Flüchtlingspolitik wesentlich verändert. Erstens wurde eine neue administrative Kategorie – die der ″ausgewiesenen Herkunftsländer″ (Designated Countries of Origin - DCOs) – eingeführt, mit der Länder klassifiziert werden, die nicht als Ursprungsgebiete von Flüchtlingsbewegungen gelten, in denen Menschenrechte geachtet werden und die über ein unabhängiges Gerichtswesen und zivilgesellschaftliche Organisationen verfügen Asylbewerber, die aus einem Land kommen, das vom Einwanderungsminister als DCO eingestuft wird, durchlaufen ein beschleunigtes Asylverfahren (Länge: ca. 30 Tage verglichen mit neun Monaten für Bewerber aus Nicht-DCO-Ländern und etwa drei Jahren für alle Bewerber in der Vergangenheit) und sie haben kein Recht, den Asylentscheid anzufechten.

Zweitens hat der Einwanderungsminister nun die Freiheit, Asylbewerber, die in Gruppen von zwei oder mehr Personen in Kanada eintreffen, als ″irregulär Eingereiste″ zu klassifizieren. Irregulär Eingereiste können umgehend festgenommen werden und dürfen die Entscheidungen, die in ihrem Fall getroffen werden, nicht gerichtlich anfechten.

Eine dritte grundlegende Veränderung betrifft die Möglichkeit von Asylbewerbern im Rahmen der Kategorie Flüchtlinge und Schutzbedürftige (Humanitarian and Compassionate Category - H&C) eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis zu beantragen nachdem ihr Asylantrag abgelehnt wurde. Asylbewerber dürfen nun weder einen H&C-Antrag stellen während sie sich noch im Asylverfahren befinden, noch dürfen sie dieses innerhalb der ersten 12 Monate tun, nachdem der Einwanderungs- und Flüchtlingsausschuss IRB eine endgültige Entscheidung über ihren Asylantrag gefällt hat.

Zahl dauerhaft und temporär aufgenommener Asylsuchender (© bpb)

Viele Nichtregierungsorganisationen wie der Kanadische Flüchtlingsrat (Canadian Council of Refugees – CCR) haben sich besorgt über diese asylrechtlichen Veränderungen geäußert. Ein Grund zur Sorge ist die kurze Zeitspanne, in der ein Asylantrag gestellt werden muss und die es schwierig macht, die einzelnen Fälle angemessen vorzubereiten und/oder die entsprechenden Unterlagen aus einigen Herkunftsländern einzuholen. Ein weiterer Grund zur Sorge ist die Tatsache, dass die Hoheit über die Einstufung eines Landes als DCO beim Einwanderungsminister liegt und nicht bei einem unabhängigen Expertengremium. Dies, so die Befürchtung, könnte im Interesse der Zweckmäßigkeit zu falschen Klassifikationen führen. Drittens hinterfragt der Kanadische Flüchtlingsrat CCR die Verfassungsrechtlichkeit von Verfahren gegen Personen, die durch die Regierung als irregulär Eingereiste eingestuft werden. Pläne, Kinder unter 16 Jahren festzunehmen oder ihren Familien anzubieten, sie in die Obhut des Staates zu übergeben, werden dabei als besonders besorgniserregend empfunden. Schließlich hat der CCR neben den zahlreichen Befugnissen, mit denen der Einwanderungsminister nach den neuen Gesetzen nun ausgestattet ist, die weitreichenden Einschränkungen des Rechts auf Einspruch gegen Asylentscheide stark kritisiert.

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Jennifer Elrick ist Doktorandin an der soziologischen Fakultät der Universität Toronto. Ihre Forschung konzentriert sich auf familienbezogene Migrationspolitiken in Kanada und Deutschland seit 1945.
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