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Türkische Fernsehserien | Türkei | bpb.de

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Türkische Fernsehserien Spiegel der Gesellschaft und der Politik

Fügen Ugur Engin Ertan

/ 11 Minuten zu lesen

Weltweit gehören Fernsehserien zu den beeindruckendsten Beispielen visueller Geschichtenerzählung. In der Türkei sind Serien zum einen Produkte der populären Kultur und beliebter Gesprächsstoff im Alltag. Zum anderen sind sie ein Spiegel der gesellschaftlichen und politischen Atmosphäre im Land - und ein türkischer Exportschlager.

Eine Frau genießt ein Kapitel der türkischen Fernsehserie "Payitaht Abdülhamid" (Hauptstadt Abdülhamid) auf einem Handy zu Hause in einer kalten Nacht in Mexiko-Stadt. (© picture-alliance, AA | Emilio Espejel)

Die Explosion des Seriensektors zur Jahrtausendwende

Um die Jahrtausendwende wurden in den Vereinigten Staaten Serien mit immer größeren Budgets produziert und ihre filmische Qualität stieg rasant. Einzelne Serien wurden zu globalen Phänomenen und traten mit Spielfilmen in Konkurrenz. Serien wie “Oz”, “The Sopranos”, “Sex and the City”, “Ally McBeal”, “24”, “Buffy”, “Angel” und “Six Feet Under” kamen oft nur wenige Wochen nach ihrem Start in den USA auch in der Türkei auf die Bildschirme, vor allem von Cine 5 und CNBC-e. Obwohl oder gerade weil sie im englischen Original mit türkischen Untertiteln gezeigt wurden, waren sie unglaublich populär. Serienschauen entwickelte sich zu einem neuen Zeitvertrieb und begann in den Großstädten Teil des Lebensstils zu werden, besonders bei Studenten, Angestellten und Freiberuflern.

Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass auch die staatlichen und privaten Kanäle, die ihre Programme auf Türkisch senden, stärker in die Produktion einheimischer Serien investierten. Sie wollten damit ihr Publikum ansprechen und so dauerte es nicht lange, bis sich die Kluft zwischen den eher westlich orientierten und den eher traditionell geprägten Teilen der türkischen Gesellschaft, die in fast allen Lebensbereichen der Türkei zu beobachten ist, auch bei der Auswahl von Fernsehserien bemerkbar machte. Jedoch gelang es in den letzten zwanzig Jahren auch einer ganzen Reihe türkischer Serien, diese kulturellen Grenzen zu überwinden und Zuschauer aus allen gesellschaftlichen Kreisen anzusprechen - und sogar im Ausland Erfolg zu haben.

Ein herausragendes Beispiel für eine solche erfolgreiche Produktion ist die Serie Asmalı Konak , des Regisseurs Çağan Irmak, die zwischen 2002 und 2003 ausgestrahlt wurde. Sie bediente sich eines der klassischen Themen der türkischen Spielfilmtradition und erzählte die Liebesgeschichte einer modernen Frau und eines Mannes, der aus einer traditionellen Familie stammte. In der Story verkomplizierten die kulturellen Konflikte zwischen den Familien des Paares das ohnehin schwierige Verhältnis der Verliebten. Wahrscheinlich hat gerade der Umstand, dass beide Teile der türkischen Gesellschaft von den Hauptrollen verkörpert wurden, zum großen Erfolg der Serie beigetragen. Die Zahl ihrer Fans stieg stetig an. Sie fuhren zu den Drehorten und suchten die Villa auf, in der in der Serie die Familie wohnte.

Im Unterschied zu dieser und ähnlichen Serien, in denen romantische Liebesgeschichten den Rahmen der Handlung bildeten, wurde die Serie Kurtlar Vadisi, die zwischen 2003 und 2005 lief, als “Mafiaserie” auf den Markt gebracht. Eigentlich ging es hier jedoch um Politik: Der Agent eines fiktiven Nachrichtendienstes wird beauftragt, sich in der türkischen Mafia emporzuarbeiten, dort Konflikte zu schüren und so dafür zu sorgen, dass sie sich selbst zerstört. Bald wird klar, dass der Türkei feindlich gesonnene ausländische Mächte, dubioses internationales Kapital und Terrororganisationen ihre Hände mit im Spiel haben. Kräfte, die alles tun, um der Türkei zu schaden. Die Serie nutzte antiwestliche und antisemitische Klischees und ein danach gedrehter Kinofilm fand auch in Deutschland große Aufmerksamkeit. Kurtlar Vadisi bediente fast alle gängigen Verschwörungstheorien und zog durch anti-amerikanische und anti-imperialistische Töne Zuschauer der unterschiedlichen politischen Ausrichtungen, darunter auch linke wie rechte Nationalisten, in ihren Bann.

In den letzten Jahren greifen beliebte Serien oft leidenschaftlich und kontrovers diskutierte Themen auf. So behandeln etwa die Serien Kırmızı Oda, Doğduğun Ev Kaderindir, İstanbullu Gelin, Masumlar Apartmanı oder Camdaki Kız, die auf Büchern der bekannten Psychiaterin und Schriftstellerin Gülseren Budayıcıoğlu beruhen, hauptsächlich das Thema der häuslichen physischen und mentalen Gewalt. Einige Expertinnen und Experten kritisieren diese Serien, da hier die Darstellung von Gewalt gegen Frauen vor allem für die Einschaltquoten instrumentalisiert würde.

Auch die Serie Yargı, die seit 2021 gesendet wird, passt in dieses Muster. Sie beginnt mit der Ermordung einer Frau und handelt von einem Staatsanwalt und einer Rechtsanwältin, die sich dieses Falls und später anderer Fälle annehmen. In der Serie wird dabei die Parteilichkeit der türkischen Gerichte zu diesem Thema deutlich. Yargı gehört mittlerweile zu den beliebtesten Serien der letzten Saison und ist vielleicht auch ein Anzeichen für den wachsenden Wunsch nach Gerechtigkeit - in einer Zeit, in der der Einfluss der Regierung und ihrer Ideologie die Unabhängigkeit der Justiz unterminiert.

Kulturproduktion in zunehmend konservativen Zeiten

Sicher weht nicht nur in der Türkei ein konservativer Wind, aber die Folgen dieses Trends für die kulturelle Produktion sind hier schwerwiegender als in vielen westlichen Ländern. Das liegt vor allem an der staatlichen Zensur und an der Selbstzensur, die daraus entsteht. Die staatliche Regulierungsbehörde für den privaten Rundfunk, RTÜK (Radyo ve Televizyon Üst Kurulu), die 1994 gegründet wurde, verhängt seit einigen Jahren sehr hohe Geldstrafen bei Abweichungen von der konservativen Staatslinie. Produzenten und Fernsehkanäle tun deshalb alles, um diese Strafen zu vermeiden.

Die Zensur von Fernsehsendungen in der Türkei ist jedoch älter als RTÜK. 1964 wurde das staatliche Fernsehen TRT ins Leben gerufen. Es gab zwar keine Behörde, welche die Sendungen von TRT überwachte, aber der Sender handelte stets mit der offiziellen Politik konform. Man ließ beispielsweise manche Künstler oder Künstlerinnen nicht auftreten oder bestimmte Szenen aus den Filmen herausschneiden.

Als 1990 der erste private Fernsehkanal Star 1 auf Sendung ging und andere private Kanäle folgten, änderte sich die mediale Landschaft. In diesen ersten vier Jahren bis zur Gründung von RTÜK wurden dort kaum Inhalte kontrolliert oder überwacht: Filme wurden nicht zensiert, viele Themen, von Sexualität bis zu aktueller Politik, konnten nun im Fernsehen in großen Runden und mit Publikumsbeteiligung offen und frei debattiert werden. Vielen Künstlerinnen und Künstlern, die vorher nicht im Fernsehen auftreten durften, konnten nun die medialen Bühnen betreten. Diese Periode beeinflusste das staatliche Fernsehen TRT gleichermaßen und verlieh auch diesem Sender nun eine gewisse Flexibilität. Doch mit der Gründung von RTÜK 1994 endete diese Phase der Medienfreiheit.

Suncem Koçer, Wissenschaftlerin im Fachbereich Medien und Visuelle Künste der Koç-Universität in Istanbul, analysierte Struktur und Funktion der Rundfunk-Kontrollbehörde und schrieb dazu 2020 im Online-Magazin Altyazı: “RTÜK wurde in einer relativ chaotischen Situation gegründet, unmittelbar nachdem das staatlichen Rundfunk- und Fernsehmonopol aufgehoben worden war. Die Gründung der Behörde erfolgte ohne jede gründliche Debatte über Themen wie Kontrolle und Selbstkontrolle und ohne Beteiligung nicht-staatlicher Akteure. Das ist ein Grund dafür, dass die Kontrollen und Sanktionen der Behörde voller Widersprüche sind. Viele Änderungen und Anpassungen der Regeln, die seit der Gründung von RTÜK 1994 vorgenommen wurden, hatten ihren Grund nicht in sachlichen Überlegungen zur Medienaufsicht, sondern erfolgten nach wirtschaftlichen Gegebenheiten und nach der politischen Konjunktur. (...) Das gilt auch für das Gesetz, das letztes Jahr (2022 A.d.R.) auf den Weg gebracht wurde und RTÜK bevollmächtigt, auch Internetangebote zu beaufsichtigen. Es entwickelte sich zu einem Instrument der aktuellen politischen Agenda und wurde zu einem Motor für das Projekt, die Gesellschaft zunehmend konservativer zu gestalten.”

So gibt es heute in türkischen Serien niemanden mehr, der raucht oder Alkohol trinkt. In solchen Szenen verschwinden die Zigaretten und der Drink sofort hinter einem Nebel. Da Regisseurinnen und Drehbuchautoren genau das vermeiden möchten, werden solche Szenen gar nicht mehr gedreht. Aber die Zensur beschränkt sich nicht auf das Rauchen oder Trinken. Der anwachsende Umfang der Zensur lässt sich etwa an der Serie Bir İstanbul Masalı darstellen, die von 2003 bis 2005 gezeigt wurde. Eine wichtige Nebenfigur der Serie erklärte dort seinem besten Freund, dass er homosexuell sei. Als die Serie 2010 vom selben Sender wiederholt wurde, war diese Szene jedoch rausgeschnitten worden. In den 13 Jahren, die seither vergangen sind, hat die Stigmatisierung von LGBT-Personen ein solches Ausmaß angenommen, dass man sich den Auftritt einer homosexuellen Figur in einer türkischen Fernsehserie nicht mehr vorstellen kann. Dort tauchen heute auch keine nackten Menschen oder Liebesszenen mehr auf. Selbst ein zu langer Kuss kann nun Strafen nach sich ziehen.

Eine der jüngsten Zensurmaßnahmen betraf die Fernsehserie Kızılcık Şerbeti, die seit Oktober 2022 ausgestrahlt wurde und innerhalb kurzer Zeit das Interesse unterschiedlichster gesellschaftlicher Gruppen auf sich zog. Der Handlungsort ist wieder Istanbul und es geht erneut um die Beziehungen zwischen zwei Familien: die eine säkular mit westlichem Lebensstil, die andere konservativ und religiös. Die Serie zeigt, wie alltägliche Dinge ideologisch überfrachtet werden und die Menschen trennen können. Das Besondere an der Handlung ist, dass sie durch sehr starke Frauenfiguren geprägt ist. Die säkulare Familie besteht ausschließlich aus Frauen, fünf aus drei Generationen. Sie alle legen großen Wert auf ihre Unabhängigkeit und sind kaum zu Abstrichen von ihren Prinzipien und Idealen bereit. In der konservativen Familie dagegen ist der Vater das absolute Oberhaupt. Doch nachdem eine seiner Töchter in der ihr aufgezwungenen Ehe gleich in der Hochzeitsnacht von ihrem Ehemann Gewalt erfährt, rebelliert auch sie gegen die Familie und selbst gegen den eigenen Vater.

In den sozialen Medien wurden besonders jene Szenen geteilt, in denen es aufgrund der ideologischen Fixierung der beiden Familien zu absurden Streitereien kommt. So stellte die Serie indirekt die gesellschaftliche Polarisierung in Frage, die manche politischen Akteure zurzeit propagieren. Das erweckte wohl den Argwohn der staatlichen Regulierungsbehörde RTÜK. Nach der Ausstrahlung einer Szene, in der die Tochter der konservativen Familie von ihrem Mann Gewalt erfährt, verhängte die Behörde mit der Begründung, die Serie zeige Gewalt gegen Frauen, eine hohe Geldstrafe und ein fünfwöchiges Sendeverbot. Dagegen wurde in vielen Medienkanälen und den sozialen Medien heftig protestiert, denn man vermutete, dass es im Grunde nicht um die Darstellung von Gewalt gegangen sei, sondern dass gezeigt wurde, dass sich auch Frauen aus religiös-konservativen Familien wehren können. Zudem zensierte RTÜK in der Vergangenheit selten Darstellungen von Gewalt an sich, etwa in Mafia-, Krimi- und Aktionsserien. Hier werden höchstens Wunden und Blut vernebelt.

Türkische Fernsehserien als Exportschlager

Auf besonders großes Interesse stoßen nicht nur in der Türkei, sondern auch im Ausland Serien, die das Heldentum der türkischen Armee oder den Kampf der Vorfahren aus der osmanischen Zeit zeigen. Diriliş Ertuğrul erzählt den Aufstieg des Protagonisten Ertuğrul, dessen Sohn später das Osmanische Reich gründete. Payitaht Abdülhamid, handelt vom letzten politisch einflussreichen Sultan des Osmanischen Reiches, den konservative Kreise für seine panislamische Politik schätzen und dafür, dass er die europäischen Mächten lange geschickt gegeneinander ausspielte. Beide Serien wurden vom staatlichen Sender TRT ausgestrahlt. Eine weitere Serie, Kuruluş Osman, welche die Gründungsperiode des Osmanischen Reichs schildert, wurde vom regierungsnahen Kanal ATV veröffentlicht.

Im Ausland sind diese und ähnliche Serien besonders in den überwiegend muslimischen Ländern des Nahen Ostens und in Asien beliebt. Die Produktion solcher Serien ist durchaus im Interesse der türkischen Regierung. Schließlich steht TRT unter ihrer Kontrolle und die privaten Kanäle, die solche Serien in Auftrag geben, sind alle als regierungsnah anzusehen. Diese Serien transportieren nationale Größe und eine konservative Weltanschauung.

Die ins Ausland meistverkaufte türkische Serie, Muhteşem Yüzyıl, spielt im Sultanspalast des 16. Jahrhunderts. Sie wurde in insgesamt 45 Ländern ausgestrahlt und erreichte insgesamt mehr als 210 Millionen Zuschauer. Selbst der US-amerikanische Hip-Hop Star Cardi B gehörte zu den Fans der Serie und schickte Posts zur Serienfigur Sultan Suleiman an ihre Follower in der ganzen Welt. Trotzdem nahmen konservative Kreise an der Serie Anstoß, da sie weniger von den heroischen Taten der Osmanen, sondern mehr von Intrigen innerhalb des Sultanspalastes erzählt.

Türkische Telenovelas

Ein Großteil der türkischen Serien, die in anderen Regionen der Welt - hier vor allem in Lateinamerika und Südeuropa - beliebt sind, sind sogenannte Telenovelas. Die türkischen Telenovelas sind meist hervorragend erzählt und müssen den internationalen Vergleich nicht scheuen, so die international erfolgreiche Produzentin Aslı Filiz. Kostüme, Licht, Vielfalt und Ausstattung der Drehorte, modernes Equipment u.a. gehören mittlerweile zum Standard. Die hohe Produktionsqualität ist auf mehrere Faktoren zurückzuführen: Die Produzenten verdienen durch die Auslandsverkäufe so viel, dass sie nicht auf die Bezahlung durch die inländischen Fernsehkanäle angewiesen sind. Für Verkäufe ins Ausland besteht jedoch große Konkurrenz, weshalb gute Produktionsqualität und eine gelungene Kombination aus Exotik und Moderne notwendig sind. Eine türkische Besonderheit sind die im Weltmaßstab überdurchschnittlich langen Folgen von 120 bis 150 Minuten. Deshalb werden die Folgen einer türkischen Serie im Ausland meist dreigeteilt. Die langen Folgen wurden den Produktionsfirmen von den türkischen Fernsehkanälen aufgezwungen, damit mehr Werbespots platziert werden können.

Doch unter der Länge und Anzahl der Folgen leidet oftmals die Qualität. Auch die Proteste der Serienmitarbeiter konnten an dieser Entwicklung nichts ändern. Denn bei langen Folgen mancher wöchentlichen TV-Serien müssen Drehbuchautoren jede Woche Texte von etwa 100 Seiten liefern. Da ist es unumgänglich, dass sich dadurch Verhaltensmuster und Klischees wiederholen.

Die Konkurrenz der internationalen digitalen Portale wie Netflix, HBO Max oder Disney+ könnten in der Türkei und für die türkischen Produktionen neue Standards setzen. Aber die Erwartungen, dass mit den internationalen Portalen eine Plattform für freiere und kreativ anspruchsvollere Serien geschaffen würde, blieben weitestgehend unerfüllt. Auch Tunç Şahin, der in der Türkei mit 7 Yüz für BluTV eine der ersten Serien für einen Streaming Dienst gedreht hat, sieht hier wenig Hoffnung. Er glaubt, dass ein unkonventionelles Format wie 7 Yüz, das, wie eine Anthologie, das Schicksal mehrerer miteinander unverbundener Charaktere erzählte, heute nicht mehr machbar sei. Kein Streaming Dienst würde so etwas Unkonventionelles zurzeit produzieren wollen. Medienunternehmen setzen auf international nutzbare Handlungen und bekannte Schauspieler, um Serien weltweit zu vermarkten. Darüber hinaus werden für internationalen Portale Serienproduktionen in der Türkei aufgrund der Sanktionen von RTÜK deutlich unattraktiver. HBO Max gab Pläne, auf den türkischen Markt zu gehen, im letzten Jahr wieder auf. Auch Disney+ beendete mittlerweile die Produktion von inländischen Serien in der Türkei.

Momentan schränken die wirtschaftliche Krise und der wachsende Konservatismus die Leistungsfähigkeit der Film- und Fernsehproduktionen stark ein. Nichtsdestotrotz behauptet sich die Türkei weiterhin international, nach den USA, auf dem zweiten Platz der größten Serienexporteure. Als ein Land, das weder ganz dem Westen noch dem Osten zugeordnet werden kann, erobert es mit seinen Serien, in denen dieses Dilemma vielfach sichtbar wird, vielleicht (noch) nicht Westeuropa und Nordamerika, wohl aber andere Teile der Welt.

Fussnoten

Fußnoten

  1. deutsch: Die Villa mit den Weinranken

  2. Weil vor 1980 die Geschäftszentren vieler Filmproduktionsfirmen in der Yeşilçam Sokağı (Yeşilçam Gasse) in Beyoğlu angesiedelt waren, wird das populäre Kino der Türkei bis in die 1980er als Yeşilçam bezeichnet.

  3. In Ürgüp, wo die Serie gedreht wurde, wurde sogar ein Denkmal mit dem Namen der Serie errichtet.

  4. deutsch: Tal der Wölfe

  5. deutsch: Das rote Zimmer, Dein Geburtshaus ist dein Schicksal, Die Istanbuler Braut, Das Haus der Unschuldigen, Das Mädchen am Fenster

  6. deutsch: Das Urteil

  7. Suncem Koçer, https://fasikul.altyazi.net/seyir-defteri/rtukun-elverisli-ittifaklari/

  8. deutsch: Ein Istanbuler Märchen

  9. deutsch: Preiselbeer-Sorbet

  10. deutsch: Ertuğruls Auferstehung

  11. deutsch: Der letzte Imperator

  12. wörtliche Übersetzung: Das prächtige Jahrhundert, bekannt als "Das osmanische Imperium"

  13. Die Telenovela ist eine Spielart der Daily Soap, sie ist aber kein Endlosformat. Die Themenpalette ist auf Liebe, Karriere und Romantik fokussiert (s. https://www.bpb.de/themen/medien-journalismus/deutsche-fernsehgeschichte-in-ost-und-west/245345/populaere-serien-genres-soap-operas-und-telenovelas)

  14. deutsch: Sieben Gesichter

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Fügen Ugur hat bis 2023 beim Goethe-Institut in Istanbul gearbeitet und hat dort über 15 Jahre das Filmprogramm des Instituts gestaltet.

Engin Ertan ist Filmkritker und hat unter anderem als Juror an zahlreichen Filmfestivals mitgewirkt.